Der Aufbau eines wirklich kundenorientierten Betriebsmodells kann gute Absichten in messbaren Geschäftserfolg verwandeln. Laut aktuellen Studien sind 86 % der Käufer bereit, für ein besseres Kundenerlebnis mehr zu bezahlen, und 73 % der Kunden nennen CX als einen entscheidenden Faktor bei Kaufentscheidungen (Walker, PwC).
In diesem Gespräch führt uns CX-Veteranin Jeannie Walters von den frühen Momenten, die ihre Leidenschaft entfacht haben, bis hin zu ihrer Vision von CX als strategischem Asset — bei dem jeder „Mikromoment“, jede Emotion und jedes Detail zu Loyalität, Kundenbindung und langfristigem Wachstum beitragen.
Jeannie Walters’ Weg in der CX-Leadership
F: Sie sind seit mehr als 16 Jahren eine Vorreiterin im Bereich Customer Experience. Was hat Ihre Leidenschaft für CX geweckt, und wie hat sie sich zu einer lebenslangen Mission entwickelt?
Meine Leidenschaft für Customer Experience begann lange bevor CX überhaupt einen Namen hatte. Zu Beginn meiner Karriere beobachtete ich, wie scheinbar kleine Momente – etwa eine unklare Botschaft, ein fehlerhafter Prozess oder eine unbeachtete Kundenanfrage – das Empfinden der Menschen gegenüber einer Marke vollständig verändern konnten. Ich entwickelte eine große Faszination dafür, diese Momente zu verstehen und Organisationen dabei zu helfen, es besser zu machen.
Mir wurde klar, dass es viele gute Absichten rund um CX gibt, aber nur wenig Verbindung zu echten Geschäftsergebnissen besteht. Deshalb entschied ich mich, mit Führungskräften zusammenzuarbeiten, die Leistung und Umsatz steigern wollen, indem sie Customer Experience zu ihrem größten Wettbewerbsvorteil machen. Das steht im Mittelpunkt meines kommenden Buches Experience is Everything, in dem ich untersuche, warum Mindset, Strategie und Disziplin zusammenwirken müssen, um bedeutungsvolle Kundenerlebnisse zu schaffen, die echte Geschäftsergebnisse liefern. Es ist mir ein großes Anliegen, Führungskräfte dabei zu befähigen, sowohl ihren Kunden als auch ihren Organisationen gerecht zu werden.
Die Philosophie hinter „weniger ruinierten Tagen“
F: Sie sagen oft, Ihr Ziel sei es, „weniger ruinierte Tage für Kunden zu schaffen“. Was hat diese Philosophie inspiriert, und wie prägt sie Ihren Ansatz für CX?
Das ist tatsächlich unsere Unternehmensmission!
„Weniger ruinierte Tage“ erinnert daran, dass Customer Experience zutiefst menschlich ist. Kunden versuchen, ihr Leben zu meistern – nicht, ein Produkt zu kaufen. Unsere Aufgabe ist es, es einfacher zu machen, nicht schwieriger. Es ist entscheidend, sich vor Augen zu führen, dass eine bewusste Customer-Experience-Strategie letztlich darum geht, die Zeit, emotionale Kapazität und Würde der Menschen zu respektieren. Wenn Organisationen das verinnerlichen, fügt sich alles andere von selbst.
Experience Investigators: Aufbau eines CX-orientierten Unternehmens
F: Sie haben Experience Investigators gegründet, lange bevor CX zu einem Buzzword wurde. Was hat Sie zur Gründung motiviert, und wie hat sich Ihre Mission seitdem verändert?
Ich habe Experience Investigators gegründet, weil ich Organisationen dabei helfen wollte, Erlebnisse aus der Perspektive der Kunden zu betrachten – etwas, das damals noch nicht üblich war. Ich war überzeugt (und bin es noch immer), dass Unternehmen strategische Klarheit und operative Disziplin brauchen, um Kunden wirklich zu dienen.

Und unsere Rolle als Führungskräfte ist es, ständig neugierig zu bleiben. Wir müssen nach dem WARUM hinter dem Kundenfeedback suchen – warum sich Kunden so verhalten, wie sie es tun, warum sie ihre Entscheidungen treffen. Und genau das ist Investigation. Deshalb habe ich das Unternehmen Experience Investigators genannt.
Warum qualitative Erkenntnisse in CX weiterhin zählen
F: Ihr Team konzentriert sich auf menschliche Bewertungen von Erlebnissen. Warum ist Ihrer Meinung nach die qualitative Seite von CX weiterhin relevant in einer so datengetriebenen Welt?
Quantitative Daten zeigen, was passiert ist. Qualitative Erkenntnisse erklären, warum. Und im CX-Bereich beginnt Transformation genau beim „Warum“.
Ich betone gegenüber den Führungskräften, mit denen ich arbeite, und den Zielgruppen, zu denen ich spreche, häufig, dass Customer Experience grundsätzlich emotional ist. Menschen treffen Entscheidungen auf Basis von Emotionen und rechtfertigen sie mit Logik. Menschliche Bewertungen – etwa durch Kundeninterviews, Beobachtungen und Journey Mapping – erfassen Gefühle, Motive und den Kontext hinter dem Verhalten. Ohne das bleiben Daten allein unvollständig.
Loyalität heute: Vertrauen, Konsistenz und emotionale Resonanz
F: Sie haben mit Marken wie SAP, Verizon und Citrix gearbeitet. Was hat sich Ihrer Ansicht nach daran geändert, wie Marken heute Loyalität aufbauen, im Vergleich zu vor zehn Jahren?
Vor zehn Jahren gingen einige Marken davon aus, dass Loyalität durch Bequemlichkeit oder Gewohnheit entsteht. Heute basiert sie auf Konsistenz, Vertrauen und emotionaler Resonanz. Kunden erwarten, dass Unternehmen ihre Zeit respektieren, ihre Präferenzen kennen und transparent kommunizieren. Loyalität entsteht heute durch Partnerschaft. Als Kunden möchten wir, dass Marken uns verstehen, unsere Ziele unterstützen und unsere Bedürfnisse antizipieren. Das ist nur möglich, wenn eine Marke unsere Bedürfnisse über das reine Produkt hinaus wirklich versteht.

Ein zentrales Thema meines Buches ist, dass Loyalität heute eine proaktive Strategie erfordert – keine reaktiven Korrekturen. Die Marken, die heute Loyalität gewinnen, sind diejenigen, die Erlebnisse gestalten, die Bedürfnisse vorausahnen, statt lediglich Probleme zu lösen.
Mikromomente: die unterschätzten Treiber der Kundenbindung
F: Wenn Sie Ihre Kundenprojekte betrachten, was ist Ihrer Meinung nach der am meisten unterschätzte Faktor, um Kunden loyal zu halten und zum Wiederkommen zu bewegen?
Der am meisten unterschätzte Faktor ist die Beherrschung der kleinen, oft vernachlässigten „Zwischenmomente“ – jene Stellen in der Customer Journey, an denen Kunden nicht aktiv mit Ihrer Marke interagieren, aber dennoch Bestätigung oder Orientierung benötigen. Ich bezeichne diese als Mikromomente. Sie sind klein und oft ungemessen, tragen jedoch entscheidend dazu bei, Vertrauen aufzubauen oder zu untergraben. Diese Momente sind intern oft unsichtbar, aber genau dort entsteht Loyalität.
Von reaktiven zu proaktiven Kundenstrategien wechseln
F: Wie können Organisationen vom Reagieren auf Kundenprobleme dazu übergehen, Kundenbedürfnisse vorherzusehen, um langfristige Loyalität zu fördern?
Der Wechsel von reaktiv zu proaktiv beginnt mit dem Verständnis der gesamten Journey – nicht nur einzelner Touchpoints. Man muss Muster erkennen, vorhersehbare Hindernisse adressieren und Systeme aufbauen, die Kunden unterstützen, bevor sie Hilfe benötigen.
- Journeys aus der Perspektive des Kunden abbilden, um vorhersehbare Schmerzpunkte zu erkennen
- Daten über Silos hinweg verbinden, damit Erkenntnisse geteilt und nicht isoliert bleiben
- Frontline-Teams befähigen, frühe Signale für Kundenbedürfnisse zu identifizieren
Vorausschauendes Handeln entsteht durch organisatorische Reife und Abstimmung.
Entwicklung eines kundenorientierten Betriebsmodells
F: In Ihrem LinkedIn Learning-Kurs „Developing a Customer-Centric Operating Model“ betonen Sie, dass CX nicht nur eine Abteilung ist, sondern eine Kultur. Welche ersten Schritte sollten Führungskräfte unternehmen, um CX in den täglichen Betrieb zu integrieren?
Der erste Schritt besteht darin, ein gemeinsames Verständnis zu schaffen: Was bedeutet Customer Experience für Ihre Organisation? Ohne diese Abstimmung wird CX fragmentiert.
Anschließend müssen Führungskräfte CX mit strategischen Prioritäten verbinden. Wenn CX mit Wachstum, Kundenbindung und Risikominderung verknüpft ist, wird es automatisch Teil der Entscheidungsfindung.
Schließlich sollten Verantwortlichkeiten verankert werden. CX-Ziele sollten in Leistungsbewertungen, Teamritualen und Führungsgesprächen sichtbar sein. Der Ansatz Mindset, Strategy und Discipline führt zu einer kontinuierlichen Verpflichtung zur Customer Experience in der gesamten Unternehmenskultur – wie ich es im Buch darlege.
Daten nutzen, um CX zu unterstützen, nicht zu überwachen
F: Sie haben auch darüber gesprochen, wie Technologie und KI CX-Teams stärken können, wenn sie richtig eingesetzt wird. Wie können Organisationen Daten und Automatisierung nutzen und gleichzeitig die Erfahrung menschlich gestalten?
Technologie sollte die Menschlichkeit verstärken, nicht überlagern. Aber seien wir realistisch – KI ist da und erzeugt positive Automatisierungen und Beschleunigungen.
- Nahtlose Übergänge zwischen digitalen Tools und Menschen sicherstellen
- Kunden Wahlmöglichkeiten und Kontrolle geben
- Daten nutzen, um zu unterstützen – nicht zu überwachen
Technologie wird nur dann zu einem strategischen Asset, wenn sie mit klaren CX-Prinzipien kombiniert wird. Human-Centered Design sollte technologische Innovation leiten. Führungskräfte müssen verstehen, wie die Organisation für ihre Kunden ist, und die richtigen Standards und Leitplanken schaffen, um sicherzustellen, dass Technologie die Marke authentisch widerspiegelt.
Lehren aus CX-Ausbildung und dem Experience Action Podcast
F: Mehr als eine halbe Million Lernende haben Ihre LinkedIn Learning-Kurse absolviert. Welche Lektion überrascht die Menschen immer wieder, wenn sie anfangen, sich mit CX zu beschäftigen?
Viele Menschen sind überrascht, wie stark die Mitarbeitererfahrung die Customer Experience beeinflusst. Sie erwarten, dass CX vollständig nach außen gerichtet ist, lernen aber schnell, dass interne Abstimmung, Kommunikation und Unternehmenskultur enormen Einfluss haben.

Dieses Thema zieht sich durch Experience Is Everything, denn wenn sich Mitarbeiter nicht unterstützt, befähigt und informiert fühlen, spüren Ihre Kunden die Auswirkungen.
Häufige Herausforderungen bei der CX-Implementierung in Teams
F: In Ihrem Experience Action Podcast helfen Sie Führungskräften, große CX-Ideen in den Alltag zu übertragen. Was ist eine der häufigsten Fragen oder Herausforderungen, die Sie von Zuhörern hören?
Die größte Herausforderung besteht darin, alle an Bord zu bekommen. Führungskräfte verstehen oft den Wert von CX, aber die Abstimmung funktionsübergreifender Teams ist schwieriger als gedacht. Silos, konkurrierende Prioritäten und nicht abgestimmte Kennzahlen stehen im Weg.
Wir müssen realistisch sein und greifbare, umsetzbare Tools schaffen, damit jeder eine bedeutungsvolle Customer Experience liefern kann. Theorie ist gut, aber Organisationen brauchen Hilfe, CX in der Praxis umzusetzen.
CX-Agilität kleiner Unternehmen: Erkenntnisse für große Konzerne
F: Sie haben mit Organisationen jeder Größe gearbeitet, von Startups bis zu Fortune-500-Unternehmen. Was können kleinere, agil arbeitende Unternehmen Ihrer Erfahrung nach großen Konzernen beibringen, um wirklich kundenorientiert zu bleiben?
Kleinere Organisationen zeichnen sich dadurch aus, die Lücke zwischen Erkenntnis und Umsetzung zu schließen. Sie iterieren schnell, hören genau zu und halten eine direkte Verbindung zu ihren Kunden.
Loyalität durch ein kundenorientiertes Betriebsmodell stärken
Jeannie Walters betont, wie ein kundenorientiertes Betriebsmodell Loyalität und Kundenbindung stärkt. Es geht nicht nur darum, Probleme zu lösen, wenn sie auftreten. Echter Erfolg entsteht durch das Vorwegnehmen von Kundenbedürfnissen und die Beachtung kleiner „Mikromomente“, die die Wahrnehmung prägen.
Der Schlüssel zur Förderung von Loyalität liegt in der Abstimmung zwischen den Teams. Wenn alle dasselbe Verständnis der Customer Journey teilen und auf Erkenntnisse reagieren, können Organisationen konsistente, bedeutungsvolle Erlebnisse schaffen. CX in der Kultur verankern, Mitarbeiter befähigen und menschliche Erkenntnisse mit Daten kombinieren – so wird jede Interaktion Vertrauen und emotionale Verbindung stärken.
Letztlich ist Loyalität kein Zufall. Sie wird durch Absicht, Empathie und einen kundenorientierten Ansatz gestaltet, der Erkenntnisse in Handlung umsetzt.